Die Perspektive geändert. Das hat Jan Seyffarth bei VLN6 getan. Der Rennfahrer hat als Anwärter Leiter Streckensicherung einen Blick hinter die Kulissen geworfen, mit dem mittelfristigen Ziel Rennleiter zu werden.
Ein ungewöhnlicher und vor allem seltener Weg. Der 33-Jährige tauschte das Lenkrad gegen die Warnweste, den Bordfunk gegen das Walkie-Talkie. Das hat Andreas Mühlenbernd, der permanente Leiter Streckensicherung (LS) von Europas größter Breitensportserie, auch noch nicht erlebt.
„Das ist auch für mich eine Pre-miere gewesen“, sagt Mühlenbernd. „Es erweitert definitiv den Horizont eines Piloten, wenn er sich das mal anschaut. Denn er bewegt sich ja in der Regel zwischen den Leitplanken. Und wir gucken auch dahinter. Andersherum ist die Einschätzung eines Fahrers für uns sehr wertvoll. Zu wissen, wie verhält er sich an der einen oder anderen Stelle einer Strecke, das hilft auch beim Briefen der Sportwarte. Das war für mich persönlich eine wichtige Erfahrung, das Ganze mal mit den Augen eines Fahrer zu betrachten. Da habe ich dank Jan viel mitnehmen können.“
Die Idee zu dem Seitenwechsel entstand bereits vor vier Jahren, als der Test- und Entwicklungsfahrer von Mercedes-AMG im Rahmen der DTM ein „Praktikum“ bei Rennleiter Sven Stoppe absolvierte. „Mich hat einfach mal interessiert, wie läuft das ab, was machen die da in der Race Control. Ich fand, das ist ein spannendes Thema. Ein Fahrer sollte auch verstehen können, was hinter den Kulissen eigentlich passiert, damit man manche Entscheidung besser verstehen kann. Wir Fahrer meckern ja gerne. Und das hat mir Spaß gemacht. Daraufhin habe ich den Entschluss gefasst, wenn ich irgendwann mal die Zeit habe, mache ich die Lizenz. Und jetzt ist es soweit“, sagt Seyffarth, den viele Motorsportfans auch als TV-Kommentator der Formel E bei Eurosport oder als Testfahrer bei GRIP – Das Motormagazin bei RTL2 kennen.
„Ich will die Plastikkarte nicht nur in der Hosentasche haben“
Bevor man die Schulungen macht und die Prüfung zum LS absolvieren kann, muss der Anwärter mindestens fünf Rennveranstaltungen, dreimal Rundstrecke, einmal Kart und einmal Bergrennen oder Rallye besucht haben. Seyffarth war zuvor schon beim ADAC GT Masters. Geplant sind zudem bereits ein Einsatz beim Kart Masters und bei VLN8. Die Prüfung zum LS ist im November vorgesehen. „Du sollst halt überall mal reinschnuppern. Bei der Rundstrecke ist alles vorbereitet, alles perfekt. Beim Bergrennen oder bei der Rallye musst du viel improvisieren. Da ist der Job des Rennleiters noch ein Stück weit intensiver“, sagt der passionierte Simracer, der seit kurzem auch Vorsitzender der AG SimRacing des DMSB ist. „Auch in diesem Zusammenhang wäre die Rennleiter-Lizenz für mich nur von Vorteil. Und ich will diese Plastikkarte nicht nur in der Hosentasche haben, um das allen erzählen zu können, ich will als Rennleiter arbeiten. Der DMSB freut sich sehr darüber, dass ein Fahrer sich dafür entschieden hat, es zu machen. Weil ich eine ganz andere Sichtweise auf die Dinge habe.“
Bei den Veranstaltungen wird dem Anwärter ein erfahrener Leiter Streckensicherung zur Seite gestellt. Diesem schaut er über die Schulter und er bekommt dabei Einblicke in die Aufgaben. „Dies beinhaltet bereits im Vorfeld die Planung des Events. Die Bestellung von Feuerwehr und Rotem Kreuz, das Akquirieren von Sportwarten und so weiter. Während der Veranstaltung geht es dann zum Beispiel um die Koordination von Bergungsmaßnahmen oder den Aufbau der Strecke“, erklärt Mühlenbernd.
„So ehrlich bin ich: Wie oft habe ich über die Sportwarte geflucht. Weil sie irgendwas gemacht haben, wo ich dachte, das gibt es doch überhaupt nicht. Jetzt sehe ich manches anders. Ein Beispiel: Beim Start- und Zielbereich am Nürburgring sieht uns der Sportwart gar nicht ankommen. Er ist komplett geschützt, da ist eine Plexi-glasscheibe an dem Zaun, damit keine Teile dadurch fliegen. Ich rege mich auf, weil er dem Kollegen vor mir nicht die blaue Flagge zeigt, jetzt weiß ich aber warum. Er kann es schlichtweg so schnell gar nicht erkennen, weil er sich nicht über den Zaum beugen darf“, sagt Umsteiger Seyffarth.
Fahrer und Sportwarte befruchten sich gegenseitig
Bei VLN6 fuhr Seyffarth am Freitag bereits mit Mühlenbernd über die Strecke und schaute sich die neuralgischen Punkte an. „Ich habe ihm in einem speziellen Fall gesagt, den Sportwart kannst du dir hier sparen, weil es nicht möglich ist, ihn zu sehen. Wir schauen nach rechts, der Posten steht links.“ Samstag früh folgte die Kontrollrunde. Beim 42. RCM DMV Grenzlandrennen saß er dann mit Michael Bork in der Race Control. Eine Sportwarte-Lizenz ist im Übrigen nicht vonnöten. „Es ist natürlich von Vorteil, wenn man von der Strecke kommt. Aber, es ist keine Voraussetzung“, so Mühlenbernd und fügt hinzu: „Zu sagen, jeder Fahrer sollte das mal machen, ist schwierig. Das ist schon eine ganz schöne Herausforderung. Denn ich muss mich selber um alles kümmern. Das kostet Zeit und Geld im vierstelligen Bereich. Der Jan ist da auf einem anderen Weg, bei ihm ist es Grundvoraussetzung. Denn er möchte Rennleiter werden.“
Dies erfordert fünf weitere Hospitationen bei verschiedenen Rennen, insgesamt sind es also zehn. „Es ist nicht so einfach, die Termine für die ganzen Veranstaltungen in Deutschland zu bekommen. Prädikatsveranstaltungen sind oft schon ein Jahr vorher vergeben. Dann rennt man seinen Einsätzen hinterher. Eine kleine Hintertür gibt es, nach drei Einsätzen kann man die Prüfung absolvieren, die restlichen beiden müssen innerhalb von zwei Jahren erledigt werden“, sagt Mühlenbernd.
Fünf Veranstaltungen, drei unterschiedliche Disziplinen
Diese Hospitationen sollten einen groben Querschnitt dessen vermitteln, was man später auch benötigt. Sprich, der Anwärter sollte nicht nur ein Rundstreckenrennen mit Prädikat wie die DTM oder das ADAC GT Masters besuchen, sondern sich auch eine Kart-Veranstaltung oder ein Bergrennen ansehen. Gefordert sind wie bereits erwähnt mindestens drei unterschiedliche Disziplinen. „Die Nordschleife ist ja nicht alles. Sie ist nice to have. Aber, man sollte sich generell auf der Rundstrecke auskennen“, sagt Mühlenbernd.
Hinzu kommt jeweils ein Schulungs-Wochenende in Frankfurt über zwei bis drei Tage. „Dort wird alles nochmal wiederholt, was für die Prüfung wichtig ist. Die theoretischen Grundlagen werden zusammen getragen und dann gibt es fast einen ganzen Tag lang eine Prüfung.“ Bezogen auf die legendäre Rennstrecke in der Eifel gibt es ja seit neuestem auch die Marshall Permit Nordschleife. „Grundsätzlich wäre ich dafür, diese auch in die Rennleiter-Ausbildung mit einzubauen. Ich gehe davon aus, dass wir dies in Kürze auch als Vorgabe haben werden“, unterstreicht Mühlenbernd.
Wenn alles gut läuft, ist Seyffarth 2021 dann Rennleiter. Nachdem ihm exklusive Einblicke gewährt wurden, hat der Leipziger auch eine klare Vorstellung von seinem künftigen Betätigungsfeld: „Ich bin zunächst jungfräulich an die Sache rangegangen. Mein Ziel in ferner Zukunft wäre es, Renndirektor über das ganze Jahr in einer schönen Serie zu werden. Mein Wunsch in naher Zukunft wäre es, irgendwo als Assistent des Renndirektors aktiv zu sein.“