Wenn bei der 63. ADAC Westfalenfahrt die Startampel auf grün schaltet, gehen in der VLN erstmals TCR-Autos in einer eigenen Klasse ins Rennen. Das ist durchaus ein Meilenstein in der 40-jährigen Geschichte der Breitensport-Rennserie.
TCR? Steht für „Touring Car Racing“ und ist ein neues Konzept für einen weltweiten Tourenwagen-Sport, das es seit 2015 gibt. Den TCR-Machern war es zum einen sehr wichtig, die Kosten für die Anschaffung und den Einsatz eines Rennwagens möglichst niedrig zu halten; dazu verfassten sie ein technisches Reglement, das ziemlich restriktiv ist. Die Technik der TCR-Autos ist relativ einfach, dafür aber robust und standfest: Die seriennahen Renntourenwagen müssen Frontantrieb und einen Zweiliter-Turbomotor haben, Fahrhilfen wie etwa ABS oder Traktionskontrolle sind nicht erlaubt.
Zum anderen ging es den Initiatoren der TCR darum, nicht einfach nur eine neue internationale Tourenwagen-Rennserie zu etablieren, sondern gleichzeitig dafür zu sorgen, dass ihr Reglement in möglichst vielen Ländern übernommen wird, so dass es auch zahlreiche nationale oder regionale TCR-Serien gibt. So entsteht für einen Hersteller ein Markt von entsprechender Größe, um seine Rennwagen für den Kundensport zu verkaufen. Denn in der TCR treten ausschließlich Privatteams gegeneinander an, es gibt keine strategischen Werkseinsätze.
Die TCR debütierte also 2015. Seitdem gibt es die TCR International Series mit rund zehn Rennen auf mehreren Kontinenten, einige sogar im Rahmenprogramm der Formel 1, und, parallel dazu, diverse nationale TCR-Serien: 2015 in Italien, Portugal und Russland, 2016 zusätzlich in Deutschland, Spanien und Thailand. Zu einer asiatischen Serie kamen eine Benelux- und eine Europa-Serie hinzu. Im Dezember 2016 startete die TCR Las Americas mit Rennen in Guatemala, Kolumbien, Venezuela, der Dominikanischen Republik und Costa Rica, und seit Januar 2017 findet die TCR Middle East Series mit Rennen in Dubai, Abi Dhabi und Bahrain.
Kein Wunder, so wie die Beliebtheit der TCR bei Organisatoren und Teams steigt, wächst auch das Interesse der Automobilhersteller. 2016 waren Fahrzeuge der Marken Alfa Romeo, Ford, Honda, Opel, Peugeot, Seat, Subaru und Volkswagen in den TCR-Serien am Start. Ende 2016 feierte der Audi RS 3 LMS sein Renndebüt – ausgerechnet beim Finale der VLN Langstreckenmeisterschaft Nürburgring. 2017 haben nicht weniger als 14 Hersteller insgesamt 18 Fahrzeugmodelle für die TCR homologiert (siehe Kasten links). Das ist das eine.
Das andere: Über kurz oder lang wird sich ein ansehnlicher Markt an gebrauchten TCR-Autos auftun. Auch sie oder gerade sie sind für den Einsatz im Breitensport auf der Nordschleife prädestiniert. Für die Teileversorgung ist bestens gesorgt, und die Einsatzkosten halten sich dank einem beträchtlichen Anteil an Serientechnik in überschaubarem Rahmen. Ein VLN-Teamchef hat bereits vorgerechnet, dass eine VLN-Saison mit einem TCR-Auto, von den laufenden Kosten her, kaum höher ist als seinerzeit der Einsatz eines Renault Clio in der erfolgreichen Cup-Klasse.
Apropos: Cup-Klasse. Die Markenpokale erfreuen sich in der VLN bei Herstellern, Teams, Fahrern und Fans großer Beliebtheit, denn sie bieten durchweg packenden Motorsport. Aber mit den Cups, von denen es in der VLN mittlerweile fünf gibt, bleibt die Markenvielfalt, eines der Aushängeschilder der Langstreckenmeisterschaft, etwas auf der Strecke. Vor diesem Hintergrund ist die neue TCR-Klasse ein Segen für den Breitensport auf der Nürburgring Nordschleife.
Die generellen Vorzeichen für eine erfolgreiche Entwicklung in der TCR-Klasse sind jedenfalls positiv: viele Hersteller engagiert, viele Marken vereint in einer Klasse, in der der Motorsport bezahlbar ist. Die Zuschauer und Fans dürfen einen zunehmend starken Wettbewerb erwarten, in dem die Fahrer und Teams im Fokus stehen – mit per BoP „auf Augenhöhe“ eingestuften Tourenwagen. „Competition“ ist angesagt, das war ja in den letzten Jahren schon so in den Cup-Klassen, in die es die heimlichen Stars der VLN, die ambitionierten Amateure, in großer Anzahl zieht. So ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis die TCR-Klasse bei den Teilnehmerzahlen hohe Werte erreichen wird, und dann darf man sich wohl auch auf die ersten VLN-Champions aus den Reihen der TCR gefasst machen.
In der VLN geht es seit 2016 in Sachen TCR rund
2016 startete die ADAC TCR Germany. Deren Rechte-inhaber, Ex-DTM-Pilot Franz Engstler, einigte sich Ende des Jahres mit der VLN auf die Einführung einer separaten TCR-Klasse in der VLN. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die TCR nicht schon davor auf der Nordschleife vertreten war. Die Premiere eines TCR-Autos in der VLN fand sogar bereits Ende 2015 statt, und es war der erste Renneinsatz eines TCR in Deutschland. Michael und Sandro Marsani sowie Axel und Max Friedhoff gingen beim VLN-Saisonfinale mit einem Seat Leon Cup Racer ins Rennen. Und 2016 debütierten die TCR-Autos von gleich drei Herstellern: von Honda, Opel und Audi.
Sie starteten vorerst in der Klasse SP3T, in der sie allerdings über weite Strecken gegen die etablierte Konkurrenz chancenlos blieben, denn das eher großzügige Specials-Reglement erlaubt weiter reichende Modifikationen, als sie in der TCR-Klasse möglich sind. Trotzdem gelang Michael Paatz und Andreas Gülden 2016 beim fünften Saisonlauf im Seat Leon TCR von mathilda racing der erste Sieg eines TCR-Autos in der VLN Langstreckenmeisterschaft. Den Erfolg wiederholten die beiden zwei Rennen später, und im neunten Lauf waren die VLN-Altmeister Heinz-Otto und Jürgen Fritzsche zusammen mit dem Finnen Hannu Luostarinen im Opel Astra TCR erstmals erfolgreich.
Für die Saison 2017 haben sich bis zum Redaktionsschluss von racing news am Mittwoch vor dem Rennen zwölf TCR-Fahrzeuge in die Langstreckenmeisterschaft eingeschrieben. Neben den Honda, Seat, Audi und Opel sind auch der Peugeot 308 Racing Cup und der VW Golf GTI TCR am Start.
Hoher Fahrspaß mit geringen Mitteln
Die technischen Eckdaten der TCR-Fahrzeuge lassen automobile Enthusiasten nicht gerade aufhorchen – die meisten Rennfahrzeuge in der VLN haben auf dem Papier deutlich mehr zu bieten. Allerdings ging es bei der Konzeption der TCR-Klasse vor allem darum, kostengünstigen Tourenwagen-Sport zu ermöglichen. Und das ist den Machern durchaus gelungen.
Der sportliche Wert blieb dabei keineswegs auf der Strecke. Die TCR-Renner machen, das ist die einhellige Meinung der VLN-Piloten, schon auf einem Grand-Prix-Kurs jede Menge Laune. In der „Grünen Hölle“ hingegen sind knapp über 300 PS, ein Drehmoment von rund 400 Nm, ein effizientes Fahrwerk und – wahlweise – ein sequentielles Getriebe mit Lenkradschaltung schon fast ein Garant für hohen Fahrspaß. Die schnellste Runde eines TCR-Autos lag 2016 bei 8:39,509 Minuten – und das ist nicht gerade langsam.
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