Der Reifenflüsterer

Günter Schlag ist ein Mann der ersten Stunde. Seit 1981 wickelt er bei der VLN Renndiensteinsätze ab und beliefert Kunden mit Reifen. 

Parallel dazu betrieb er unter anderem den Promotion-Truck für den damaligen Seriensponsor ATS. Angefangen hat er mit Kleber, Pirelli und Yokohama, von denen er sich 2015 trennte. Seither ist er für die Firma Hoosier (gesprochen Huuuscher) im Einsatz, einer der größten Rennreifen-Hersteller weltweit. 

Die Firma wurde vor über 50 Jahren vom ehemaligen Rennfahrer Robert „Bob“ Lee Newton gegründet und gehört seit 2016 zur Continental AG. Zu Hause ist Hoosier in Lakeville im US-Bundesstaat Indiana. Seit diesem Jahr hat die Schlag GmbH bei der größten Breitensportserie der Welt auch den Service für Kunden der Firma BBS, die noch mehrteilige Felgen haben, übernommen. „Das betrifft das Mehrteiler-Geschäft national, international und auch die Klassik-Schiene“, sagt Schlag, der seit 2008 mit seinem Unternehmen unweit der legendären Nordschleife zu Hause ist, in der ehemaligen Weco-Möbelfabrik in Leimbach bei Adenau, direkt an der Bundesstraße 257.

In der VLN sind derzeit noch acht bis zwölf Autos mit Mehrteilern auf der Strecke unterwegs, hauptsächlich in den SP-Klassen. Allen voran der legendäre Manta in der SP3 und auch ein paar Porsche-Modelle in der SP7. Vier Autos werden momentan von ihm mit Hoosier-Reifen bestückt, zwei von FK Performance, ein Subaru in GT86-Ausführung und ein SP5 BMW.

In vier Jahrzehnten hat Schlag in der Eifel vieles erlebt und einiges zu erzählen. „Ein bis drei Storys hatten wir hier schon. Ich habe viele kommen und gehen gesehen, manche vehement, aber kurz. Ich würde viel Geld für die eine oder andere Geschichte bekommen“, sagt er scherzhaft. Eine Anekdote lässt er dann dennoch vom Stapel. „Am geilsten war, als 1985 hier der Umbau kam und das Fahrerlager durch einen Zaun getrennt war. Da war ich mal für die Formel Ford 2000 bei einem Formel-1-Rennen vor Ort. Wenn man zur Toilette musste, musste man mindestens 20 verschiedene Eintrittskarten vorzeigen. Das war schon sehr aufwändig.“

Eine Erinnerung hat Schlag auch an Karl-Heinz Retterath, der 1976 einer der Intitiatoren der VLN war. Er führte einst eine Limitierung der Reifen ein. Pro Lauf war nur noch ein Satz Reifen erlaubt. „Damals konnte man noch zwei Rennen mit einem Satz fahren. Heute kann man ja fast keine zwei Tanks mehr fahren. Ich habe ihm damals gesagt, Karl Heinz, das ist das geilste, was du machen kannst. Mehr Geld habe ich hier noch nie verdient, dann kaufen nämlich alle vier Stück pro Lauf. Wenn die frei sind, fahren sie mit allen, was irgendwie fahrbar ist, dann kaufen die auch mal nur einen für vorne links, weil der am meisten verschleißt. Da kann man einen gebrauchten auch viermal auf der Felge umdrehen. Nach der Saison hat er das auch verstanden“, sagt er schlagfertig.

Auch für Reifen haben sich die Zeiten geändert. „Heutzutage fällt der Reifen nach dem Stint vom Rad. Wir machen sie kaputt, nehmen sie mit nach Hause und lassen sie recyceln. Meistens ist der Gummi noch astrein. Aber nach eineinhalb Stunden Nordschleife mit dem V-Auto ist die Karkasse, sprich das tragende Drahtgewebe, so was von durch. Wer diese Reifen aus Budgetmangel erwirbt, hat eine tickende Zeitbombe. Gebrauchte Reifen von einem normalen Grand-Prix-Kurs würde ich indes kaufen“, sagt Schlag. Aufgrund der Kompressionen ist die Nordschleife auch für die Pneus eine besondere Herausforderung. Karussell, Sprunghügel am Schwalbenschwanz und am Pflanzgarten, Senke am Tiergarten, das macht je nach Rundenzeit summa summarum 20 bis 23 Sekunden in denen das Auto mehr als drei Tonnen wiegt. 2,1 bis 2,3 g wirken an der Senke der Fuchsröhre auf die Reifen ein, das macht aus 1.300 kgFahrzeuggewicht  4.200 kg.

In der Regel reist Schlag mit einem Dutzend Mitarbeiter Donnerstagnachmittag an und baut alles auf. Ab Freitag früh ist man wieder vor Ort, nach der Fahrerbesprechung entscheiden sich die Teams, welche Mischung, welche Größe sie fahren und welche Strategie sie verfolgen wollen. Gerade bei einer relativ unbekannten und hochpreisigen Reifen-Firma wie Hoosier ist Schlag auch oft noch als Überzeugungskünstler gefragt. „Die Fahrer sind es ja eh nie. Der Reifen ist immer das dankbarste Opfer. Wir machen auf der Klassik-Schiene auch exklusiv den Vertrieb für Michelin. Da musst du nicht argumentieren, weil da alle Erfolge mit einfahren.“ Rund 200 Reifen hat Schlag im vollen Anhänger immer mit dabei. „Es gibt oft genug Fahrer, die sagen, steck mir mal einen Satz drauf.“

Schlag hat hautnah auch die rasante Entwicklung und Veränderung der VLN mitbekommen. „Früher hatte man im Fahrerlager viel Platz. Da gab es noch Kiesstreifen zwischen den Fahrbahnen. Da war immer noch Luft. Heute ist es mehr oder weniger überfüllt.“ Die Professionalisierung machte auch vor der VLN nicht Halt. „Die Rivalität unter den Teams ist weitaus größer geworden. Damals hat der eine dem anderen den Schraubenschlüssel ausgeliehen, das ist heute nicht mehr selbstverständlich.“